WOMAN Kolumne: Stille kann sich wie Urlaub anfühlen
Stille kann sich wie Urlaub anfühlen / WOMAN Magazin Ausgabe 7. Oktober 2021
Einfach nur den eigenen Gedanken zu folgen, Tag zu träumen, die Wolken beim Ziehen beobachten: Das ist herausfordernder, als es sich anhört. Dazu gibt es eine verblüffende psychologische Studie der US-amerikanischen Universität Virginia. Sie zeigt, wie sehr innere Einkehr belastet. Dabei ging es darum, in einem neutralen Raum auf einem Sessel zu sitzen – 15 Minuten lang. Alternativ dazu gab es die Möglichkeit, sich einen unangenehmen Elektroschock zu verpassen. Zwei Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen haben lieber den Kopf gedrückt, als nichts zu tun und bei sich zu bleiben. Einer der Studienteilnehmer gab sich in dieser Zeit gar 190 Elektroschocks. Mich überrascht dieses Ergebnis nicht.
Wir erleben es als schwierig, mit und in der Stille zu leben. Sie verlangt uns sehr viel ab. In Ruhe werden wir zappelig, das Gehirn sucht nach Ablenkung und Kicks, Hier etwas zu verändern, ist mir ein Anliegen, das ich nun beim 7. Österreichischen Speaker Slam in Wien näher ausführen durfte. Dass das Thema berührt, zeigt das Ergebnis des Slams: Mit meiner Rede „Stille lügt nicht“ habe ich gleich zwei Awards gewonnen, den Agenturpreis und den Publikumspreis. Das zeigt schön, wie sehr meine Gedanken am Puls der Zeit sind. Stille ist wichtig, sie ist Teil unseres Lebens. Stille kann sich wie Urlaub anfühlen und manchmal zeigt sie uns auch etwas: Das, was gerade da ist.
Gelegenheiten für Stille gäbe es in unserem Alltag viele. Doch wir nützen sie nicht. Man kommt nach einem langen Arbeitstag nach Hause und sehnt sich nach Ruhe. Nur ein paar Minuten! Keine Rufe aus allen Ecken, keine Anrufe, kein „Mama, schau mal“ seitens der Kinder. Doch wir ziehen uns nicht zurück, folgen lieber dem Beschäftigungs-Impuls. Oder man sitzt im Zug. Eine wunderbare Gelegenheit, um Stille zu genießen, der Landschaft zuzusehen, wie sie vorüberzieht. Trotzdem schweifen wir ab – flüchten uns erneut aus der Stille, weil uns einfällt, dass wir ins Smartphone schauen können oder ein Telefonat führen sollten. Und ja, da wäre noch dieser wichtige Artikel, den man schon lange lesen wollte. Selbst wenn wir mit jemandem sprechen, versuchen wir jede Sekunde mit Worten zu füllen, weil Pausen unangenehm sind. Wir bestaunen einen Sonnenuntergang – und reden darüber, bewerten alles, zücken das Handy, machen 100 Fotos davon.
So groß die Sehnsucht nach Stille und Ruhe ist – so sehr haben wir es verlernt, die leisen Momente wahrzunehmen und zu genießen. Dabei helfen gerade diese, uns und unser Nervensystem runterzufahren. So können wir durchatmen und bei uns ankommen. Mit jedem Moment Stille beruhigt sich der Atem, die Muskeln entspannen sich, die Seele wird durchlüftet. Außerdem schaffen Pausen Räume. Der Raum zwischen zwei Gedanken wäre so oft nötig, um überlegter zu handeln. In der Stille werden wir bewusster und achtsamer im Tun. „Nur im ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne“ heißt es in einem chinesischen Sprichwort. Stille schafft Klarheit. Die gute Nachricht: Momente des Innehaltens können wir täglich schaffen, das liegt ausschließlich an uns. Dann aber sind sie eine wahre Erholungsoase, das sehe ich oft im Rahmen meiner Arbeit. Wenn es Menschen gelingt, diese Hürde zu meistern, werden sie belohnt. Das können wir im Leuchten ihrer Augen sehen.
Dennoch: Es ist nicht so einfach wie es klingt. Wenn wir meinen, die Herrschaften in dieser Studie wären nicht normal und wir würden anders reagieren – nun, da kann ich nur sagen, ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich anders reagieren würde. Denn auch ich weiß, dass es manchmal schwer ist, die Hummeln im Hintern zu beruhigen, die Beine still zu halten, die Gedanken im Kopf zu stoppen oder wie man in der Mediation so schön sagt: Sie ziehen zu lassen, wie auf einer Wolke. Der Satz, den ich in der Ausbildung zur Meditationsleiterin am häufigsten hörte, lautete so: „Wie kann ich das da Oben stoppen?“ Ganz einfach: In dem wir üben, üben, üben. Jede Gelegenheit zur Stille bewusst wahrnehmen, um den Geist darauf zu „trainieren“, wie einen Muskel. Loben wir uns für jedes Mal, wenn wir es schaffen, der inneren Ruhe zu folgen. Und wenn es nur zehn Minuten pro Tag sind, wo wir uns nicht beschäftigen, keine Musik hören, nichts lesen, nur im Moment sind. Nichts tun. Keine schwierigen Fragestellungen im Kopf herumwälzen. Die Stille ermöglichen. Dann wird es uns mit jedem Mal leichter fallen – und bereits nach kurzer Zeit werden wir dafür belohnt. Mit mehr Kraft. Und mit mehr Leuchten – innen wie außen.