Like it – Magazin: Digital Detox
Digital Detox / Text erschienen im LIKE IT MAGAZIN, Ausgabe Juni/Juli 2023
„Same same, but different“ – was vereint uns Menschen weltweit? Unter anderem das Ausloten einer vernünftigen Digital-Life-Balance, die uns das beschert, was wir uns alle wünschen: mehr Freude und mehr Zeit. I dared to be different: sieben Monate ohne digitale Medien – ein Selbstversuch.“
Das Smartphone vom morgendlichen Weckruf bis zur Schlafenszeit mit sich herumzutragen und mit Handy-Nackenstarre scrollend durch den Tag zu gehen, ist längst überall auf der Welt Usus – selbst in der afrikanischen Savanne. Doch zu welchem Preis: Tauschen wir das echte Leben, den Zauber des Augenblicks im Hier und Jetzt gegen vermeintliche Bequemlichkeit und opfern damit unsere Chancen auf Entspannung, Gelassenheit und innere Ruhe?
Wie wäre es, morgens von einem Wecker mit Klangschalengong geweckt zu werden oder seinen inneren Wecker zu schulen, anstatt als erste Tat des neuen Tages gleich zum elektronischen Gerät zu greifen? Ist das denn wirklich noch smart? Ich habe es weltweit erlebt: In einem thailändischen Strand-Restaurant beschäftigen sich bereits 2010 die Menschen lieber mit facebook-Chats anstatt dem einzigartigen Meeresrauschen zu lauschen. Und der farbenprächtigste Sonnenuntergang auf Teneriffa lässt keine Ruhe einkehren, sondern dient nur noch als Hintergrundmotiv für die Selbstinszenierung auf Instagram. Für mich steht fest: Unser Handy mögen wir fest im Griff haben, die Kontrolle über dessen Zweck und die Nutzungszeit sind uns jedoch längst entglitten. Denn aktuelle Forschungsergebnisse zeigen: Das Smartphone beeinflusst durch seine pure Anwesenheit unbewusst immer einen Teil unserer Aufmerksamkeit und stört unser Kurzzeitgedächtnis.
7 Monate Auszeit
In der Überzeugung, dass wir unseren außer Kontrolle geratenen digitalen Medienkonsum überdenken sollten, habe ich mich auf einen Selbstversuch eingelassen und das Abenteuer Digital Detox-Reise durchgezogen: 7 Monate ohne telefonische Erreichbarkeit, Anrufe und Welt-Nachrichten. Ohne Social Media und E-Mails. Eine echte Herausforderung, gerade für mich als technikbegeisterte Ingenieurin. Doch schon der erste Schritt hat mich spürbar aufatmen und eine neue Freiheit spüren lassen: Auf einem einsamen Campingplatz inmitten der faszinierenden Farbenwelt Islands habe ich an Tag 1 alle Apps von meinem Firmenhandy gelöscht. Und schon gewann die Stille in meinem Kopf neuen Raum. Mein Smartphone per Voicemessage stumm zu bekommen, war allerdings selbst für mich als technisch versierten Menschen nicht einfach und hat erst nach 4 Tagen geklappt. Was sagt uns das über die versprochene Freiheit durch all diese Geräte?
Anfangs war es auch für mich als bewusst achtsame Handynutzerin ganz schön ungewohnt, nicht nachzusehen ob mich jemand angerufen hat oder was denn so auf Facebook los ist… Doch heute, nach Abschluss meines Selbstexperiments in digitalem Minimalismus, stelle ich fest: Mir ist es in dieser Zeit gelungen, wieder eine tiefere Verbindung zu mir selbst, meiner Umgebung und der Natur herzustellen. Ich habe mehr gemacht, mehr geredet, die Qualität des menschlichen Lebens wieder tagtäglich gespürt – zum Beispiel beim Eisbaden im eiskalten Islandsee. Versuchen wir also selbst am Steuer der Technologie zu bleiben anstatt zum Uhrwerk in der Uhr zu werden!
Tipps:
- Klarheit: 4 Wochen ohne Social Media und Serien, private E-Mails oder YouTube
- Gewohnheit: 3 fixe Digital Detox-Tage in der Woche
- Lebensqualität: Die Natur mit allen Sinnen erleben
- Genuss: Essen als Social Event mit handyfreier Zeit
- Selbstführung: Temporärer Ausstieg aus dem Hamsterrad
Selbst gesetzte Grenzen und Selbstsabotage erkennen!
Die Digital Life Balance finden
Die Frage ist jedoch: Wie funktioniert ein smarter Umgang mit Handy und Co. in unserer Gesellschaft? Der erste Schritt ist das achtsame Wahrnehmen, ob wir uns selbst Zeit stehlen, in der wir Großartiges erleben könnten: Lassen wir von Algorithmen und Smartphones unsere Lebensqualität, unsere physische und mentale Gesundheit beeinflussen? Tragen wir unser Handy am Körper? Ist das WLAN auch abends und am Wochenende aktiv? Wir müssen auf nichts verzichten, um digitale Technologien smart und sinnvoll zu verwenden. Nicht verdammen, sondern anders nutzen. Eben smarter!
Zum Ausprobieren empfiehlt sich ein radikaler Selbstversuch: Für vier Wochen eine Gewohnheit weglassen und ohne Social Media, Serien, private E-Mails oder YouTube auskommen – je nachdem, was wir gerne als Ablenkung oder „zum Entspannen“ nutzen. Ein Aussteigen bringt eine ganz neue Klarheit! Einmal spüren, wie sich dadurch das eigene Denken verändert – aber auch das Körpergefühl, das Wahrnehmungsvermögen, die Gesprächskultur in der Partnerschaft und das Plus an Qualitätszeit in der Familie erleben. Wer es wagt, der wird schnell merken: Das Gehirn ruft nach der gewohnten digitalen Beschäftigung. Anfangs kommt vielleicht Langeweile auf, doch bald füllt man die Zeit mit anderen Tätigkeiten. Und die eine oder andere Erkenntnis erhält endlich einmal eine Chance, zu uns durchzudringen. Einfacher gelingt dieses Experiment in einer Partnerschaft übrigens, wenn man gemeinsam in das Abenteuer eintaucht!
Eine andere Möglichkeit: In manchen Berufen lassen sich drei „digitalfreie“ Tage pro Woche realisieren. Oder wir nehmen den Weg zurück in die Natur. Denn neben oder mit der Natur zu leben, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das kann einem kein Laptop erklären. Die Augen wollen auf Farben trainiert werden, die Ohren auf neue Geräusche, und die Nase auf Gerüche. Ein Abschalten und Weglassen kann uns ein neues intensives Leben bieten. Ich durfte live in Afrika Elefantenherden beobachten anstatt im Fernsehen, wilden Nashörnern gegenüberstehen, bin in der Früh mit dem Ruf von Hyänen aufgewacht und abends mit Löwengebrüll und dem Blick auf unglaubliche Sternenbilder über mir eingeschlafen. Jetzt weiß ich: Wir sind nicht mit der Natur im Einklang, sie duldet uns nur!
Das Geheimnis dieser 15 Minuten besteht also darin, dem Gehirn beizubringen, dass es zwar etwas wahrnehmen darf, aber nicht überall mitmuss. Dass Gedanken kommen dürfen – aber auch wieder davonziehen sollten. Ein Lernprozess, der mit der Zeit zur Routine wird und neurobiologische Spuren hinterlässt. Dafür ist es nie zu spät, weil das Gehirn ein Leben lang formbar bleibt. Das, was dabei dauerhaft trainiert wird, heißt „Meta-Aufmerksamkeit“: Je ausgeprägter sie ist, desto mehr ermöglicht sie uns, jedes mentale „Abschweifen“ (etwa in Richtung negativer Gedanken) frühzeitig zu erkennen und rasch zu korrigieren. Davon profitieren wir – täglich. So können wir das eigene Glück steuern.
Temporärer Ausstieg schenkt Zeit
Wer sich traut, steigt für eine Weile aus: Das ewige Hamsterrad wird dann für eine neu gewonnene Wahlfreiheit eingetauscht – und schon werden ungesunde Muster, Gewohnheiten, Denkweisen und andere Hebel unserer täglichen Selbstsabotage sichtbar. Versäumen wir etwas? Eher, wenn wir uns nicht trauen. Denn wer das Abenteuer wagt, wird interessanter und schafft das, was sich viele unbewusst wünschen: Seine Zeit nicht dem digitalen Zwang zu opfern, sondern selbstbestimmt und kraftvoll seinen eigenen Weg zu wählen.
Doch auch kleine Schritte wirken: Schon der achtsame Umgang mit Apps und jeglicher digitalen Mediennutzung schenkt uns ebenso wie Meditation wieder mehr Tiefe. Wie es William Powers in seinem Buch „Einfach abschalten“ zusammenfasst: „Mit zunehmender Vernetzung verändert sich der Charakter unseres Alltags – sie macht ihn hektischer und getriebener. Und wir verlieren etwas Wertvolles, eine Art zu denken und uns durch die Zeit zu bewegen, die sich mit einem Wort zusammenfassen lässt: Tiefe. Tiefe des Denkens und der Gefühle, Tiefe in unseren Beziehungen, unserer Arbeit und allem, was wir tun. Da Tiefe unser Leben erfüllend und bedeutend macht, ist es erstaunlich, dass wir das zulassen.“ Den Weg zurück mache ich im persönlichen Coaching und in meinen Silence Retreats direkt erlebbar und begleite dabei, wenn mehr Qualitätszeit, berufliche Verwirklichung und Tiefgang im Leben angestrebt wird.
SAM – SINNVOLL, ACHTSAM, MINIMALISTISCH
Wir haben es in der Hand. Deshalb habe ich persönlich mich für einen neuen digitalen Medienkonsum entschieden: SAM. Sinnvoll, achtsam und minimalistisch. Einfach durchscrollen ist für mich out, gezielt mit jemandem kommunizieren ist in. Denn ich möchte mehr echtes Leben in meinem Leben. Kreieren in meinem Tempo. Noch viel bewusster abwägen, wieviel Medienkonsum wir wirklich brauchen. Als inspirierendes Vorbild vorangehen und das Beste aus beiden Welten rausholen. Alles ist möglich – like it.
Über Nicole Hobiger-Klimes
Ing. Mag. Nicole Hobiger-Klimes ist Business & Entscheidungs-Coach, Mastermind-Moderatorin, und leitet seit 12 Jahren das Ausbildungsinstitut QuantenSprung für Meditation und Achtsamkeit. Ihr Spezialgebiet als Botschafterin der Stille: Silence Retreats. Früher hat die ehemalige Kampfsportlerin für UN-Botschafterin und Menschenrechtsaktivistin Waris Dirie gearbeitet. Persönlich ist sie eine Mischung aus einem in sich ruhenden fernöstlichen Mönch und einer lautstarken westlichen Visionärin und Unternehmerin: Eine Frau, die seit 13 Jahren dem Kaffee abgeschworen hat, Vegetarierin ist und keinen Fernseher hat. In ihrer Arbeit erforscht sie Innenschau, Visualisierungen/Deep Work und Selbststeuerung als Erfolgsfaktoren. Eine Frau, Mutter und Unternehmerin, die ihre unglaubliche Kraft aus stillen Pausen schöpft.