WOMAN Kolumne: Die Kunst, effektiv zu jammern
Die Kunst, effektiv zu jammern / WOMAN Magazin Ausgabe 10. Juni 2021
Stimmt schon, der Mai war eher kein Wonnemonat. Zu kühl, mehr Herbst als Frühling. Darüber könnten wir alle lange raunzen. Aber bitte ohne mich, weil ich weiß: Das ist eine Frage der Entscheidung.
Nicht missverstehen: Auch ich bewege mich nicht immer in der jammerfreien Zone und schwebe mit einem Dauerlächeln durch den Tag. Das wäre so gar nicht authentisch. Manchmal müssen wir Dampf ablassen und es als Befreiung erleben. Raus damit! So erleichternd es sein kann, seinen Frust zu verbalisieren, so heikel ist es allerdings, sich im Dauerraunzen zu verirren. Jammern ist etwas, das sehr rasch zur Gewohnheit werden kann und sich im Mindset etabliert. Irgendwas ist immer! Und da ist sie auch schon – die „Immer-Falle“: Immer dieser lästige Stau! Immer dieser blöde Wind! Immer diese unfreundliche Nachbarin! Immer der irre Lärm! Herumjammern schreit geradezu nach Verallgemeinerung und vor allem: nach Wiederholung. Einmal drin im Suder-Sumpf, gibt’s kein Entrinnen. Dann werden wir zu übellaunigen Nonstop-Raunzern und merken gar nicht, wie wir uns selbst und denen, die uns zuhören, das Leben vermiesen.
HABEN SIE GEWUSST, dass Jammern stresst?
Wir runzeln die Stirn, wir fokussieren uns auf das Negative, empfinden Wut, Missgunst sowie Ohnmacht. Unser Blutdruck steigt, wir werden fahrig und verlieren uns dann im Sog der negativen Emotionen. Wer stets jammert, kann das Schöne nicht mehr wahrnehmen, sieht die Sonne nicht, wenn sie scheint, und verlernt, den Duft des Regens zu genießen. So entgeht uns manch magischer Moment. Schade um jede Minute! Wer den Großteil seiner Geisteskraft auf das Raunzen konzentriert, versäumt also viel. Außerdem wirkt das Sudern auf den Körper wie starker Stress, dabei wird Cortisol ausgeschüttet. Die dauerhafte Erhöhung dieses Stresshormons schadet der Gesundheit. Und nicht nur das. Eine Studie von Forschern an der Universität Stanford zeigte, dass dauerhaftes Jammern einen Teil des Gehirns schrumpfen lässt, den Hippocampus nämlich. Er gehört zum limbischen System (quasi die Gefühlszentrale im Kopf) und gilt als Schaltstelle für das Gedächtnis. Man könnte sagen: Sudern fördert die Vergesslichkeit. Also vergessen wir doch die Raunzerei lieber und halten wir inne, bevor wir damit loslegen. Das hat sehr viel mit Wahrnehmung und Fokus zu tun. Lässt sich das verändern?
Ja.
Ein Satz, den jeder und jede in meinen Achtsamkeitsseminaren einmal zu hören bekommt, lautet so: „Energie folgt Aufmerksamkeit.“ Diese Worte eignen sich wunderbar, um der Jammerei effizient etwas entgegenzusetzen. Schauen Sie einmal genau hin: Wohin lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit? Auf das Gelungene, das Schöne? Auf das Grau in Grau des Regens oder die Tatsache, dass die Natur dieses Wasser braucht? Auf den Stillstand im Stau oder den Umstand, dass wir in einem solchen Augenblick die Möglichkeit haben, durchzuatmen, schöne Musik zu hören oder mit einem Menschen, den wir sehr mögen, entspannt zu telefonieren? Je öfter es gelingt, die guten Dinge des Lebens – die Gelegenheiten! – wahrzunehmen, desto eher erzeugen wir ein positives Energiefeld. Mehr und mehr sehen wir das, was uns Freude bereitet. Wir nehmen das Lächeln wahr, die einzigartige Schönheit des Augenblicks und bleiben in unserer Kraft.
NICHT ZU RAUNZEN, will geübt werden.
Ein achtsamer Umgang damit bedeutet, es möglichst frühzeitig wahrzunehmen und dann zu stoppen. Am besten, wir stellen uns diesen Vorgang wie einen Spurwechsel auf der Autobahn vor – weg von der Überholspur der Negativgedanken, hin zum bewussten Wahrnehmen dessen, was gut ist. Und jetzt: Fokus! Wir lenken den Blick nun am besten auf etwas, wofür wir dankbar sind. Zum Beispiel auf einen besonderen Moment, der uns bereichert hat. Schon liegen wir wieder richtig und fühlen uns körperlich wohler.
Und was, wenn sich der kleine Katzenjammer trotzdem in unsere Gedanken schleicht? Dann einmal bewusst zuhören, was er Ihnen sagen möchte. Manchmal spiegelt sich darin ein Herzenswunsch wider oder etwas, das gesehen und verändert werden möchte. Das ist die konstruktive Seite des Jammerns. Und da ist es wichtig, etwas weiterzuentwickeln. Frei nach Oscar Wilde: „Unzufriedenheit ist der erste Schritt zum Erfolg.“ Danach aber wieder: weitergehen, bewusst anpacken, raus aus dem Jammertal.
Auf, auf nach St. Glück!