Ein Treffen mit sich selbst / LIKE IT MAGAZIN, Ausgabe März/April 2021

Freiraum schaffen – ganz für mich allein: Wer täglich 15 Minuten meditiert, kann durchatmen und kreiert aus eigener Kraft einen Gegenpol zum schnellen Leben. So bleiben wir gelassen und schöpfen neue Energie.

 

60.000 Gedanken gehen dem Menschen täglich durch den Kopf. Nur zwei Prozent davon sind positiv oder konstruktiv. Flüchtige, mitunter abstrakte mentale Momente, die uns meist nicht bewusst sind, und dennoch an unserer Energie nagen. Wir alle kennen sie, diese mehr oder weniger subtilen Botschaften von „oben“ – mit freundlichen Grüßen aus dem Gedankenkarussell. Zum Beispiel so: Ich schaffe das nicht mehr, Was denken die anderen über mich?, Niemand mag mich. Oder so: Mails muss ich noch checken, Brot ist keines mehr da, X und Y sollte ich anrufen.

Im Buddhismus existiert dafür ein Begriff: „Monkey Mind“, auch „Affengeplapper“ oder „Affengeist“. Das Gehirn nimmt Reißaus, Gedanken verselbstständigen sich. Das war schon immer so, weil der menschliche Geist eben „so“ ist. Doch der digitalisierte Mensch füttert den „Affen“ mehr denn je. Ja, unsere Gedanken werden auch deshalb immer „lauter“, weil wir das Gehirn durch Training daran gewöhnt haben, unterbrochen zu werden. Da ein Like in den sozialen Medien, hier eine E-Mail- oder Handynachricht, auf die wir schon lange gewartet haben, dort dieses Video, das wir uns unbedingt anschauen wollen. Geräusche, Eindrücke, Impressionen, Bilder – nonstop, gleichzeitig, beinahe rund um die Uhr. Das Gehirn will immer mehr davon, lenkt ab, während wir zunehmend aus der Balance geraten. Nicht einmal an den Wochenenden gelingt es uns, abzuschalten, still zu halten, durchzuatmen. Die Gedanken – immer sprungbereit.

Außer aber, wir denken um – und versuchen, das Gedankenkarussell zu verlangsamen. Zum Beispiel, indem wir meditieren. Dafür brauchen wir nur 15 Minuten pro Tag. Ein kurzes, aber wichtiges Treffen mit sich selbst. Es kann lebensverändernd sein, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Als ich vor elf Jahren in einem thailändischen Kloster das erste Mal mit professioneller Anleitung meditierte, hatte ich sofort das Gefühl, mich selbst getroffen und gefunden zu haben. Von da an veränderte sich vieles. Mein Sein, meine Sprache, die Präsenz, meine geistige Haltung. Seither weiß ich, was es bedeutet, mich zu spüren, bei mir zu sein und mich auf das Wesentliche konzentrieren zu können – jeden Augenblick präsent. Stress ist etwas, das ich zwar kenne, aber ich habe mit Meditation ein ideales Werkzeug, damit umzugehen.  Das Schöne daran: Jeder Mensch kann lernen, zu meditieren, und diese wunderbar einfache Möglichkeit nützen, um etwas für sich zu tun. Meditation ist gelebte Selbstfürsorge.

Die Kunst, sich nicht ablenken zu lassen

Was ist das Besondere an diesen 15 Minuten? Viele Menschen denken, man würde dabei nur herumsitzen und nichts tun. Wie langweilig!

 

Ein Missverständnis: Meditation ist nicht Nichtstun.

 

Die Gedanken kreisen trotzdem und fluten die mentale Innenwelt. Sie können bunt und beunruhigend sein, kreativ und erhellend. Meditation ist die Kunst, sich davon nicht mehr ablenken zu lassen. Dazu eine Geschichte: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einer Parkbank, an einem See. Sie sehen die Enten und wie sich die Sonne im Wasser spiegelt. Um den See führt ein Weg. Sie nehmen wahr, wie dort ein Jogger seine Runden dreht oder dass eine Mutter mit ihrem Kinderwagen an ihnen vorüberspaziert. Das Gehirn ist so konzipiert, dass es gedanklich dem Jogger hinterher laufen oder der Mutter beim Schieben des Kinderwagens helfen möchte. Auf den mentalen Zustand umgelegt heißt das: Sie folgen jedem  ihrer Gedanken und kommen so von einem Thema ins nächste. Das endet oft in einem emotionalen Durcheinander, Sie wissen irgendwann gar nicht mehr, wo alles begonnen hat. Im meditativen Gewahrsein lehnen Sie sich zurück, sind entspannt – bemerken die Gedanken. Oder, auf die Geschichte umgelegt: Sie bemerken den Jogger und die Mutter mit Kinderwagen. Doch jetzt sprinten Sie weder dem einen noch der anderen hinterher, schon gar nicht schieben Sie den Kinderwagen. Sie lassen sie bewusst ihres Weges ziehen – nicht mehr, nicht weniger.

Kleiner Tipp: Das Benennen eines Gedanken mit, zum Beispiel,  „Zukunft“, „Vergangenheit“, „Zweifel“, „Arbeit“, „Freizeit“oder ähnliches wird in der Meditation als „Etikettieren“ bezeichnet. Das hilft, wieder zurück in die Meditation zu finden und erleichtert das Lösen von Gedanken.

Das Geheimnis dieser 15 Minuten besteht also darin, dem Gehirn beizubringen, dass es zwar etwas wahrnehmen darf, aber nicht überall mitmuss. Dass Gedanken kommen dürfen – aber auch wieder davonziehen sollten. Ein Lernprozess, der mit der Zeit zur Routine wird und neurobiologische Spuren hinterlässt. Dafür ist es nie zu spät, weil das Gehirn ein Leben lang formbar bleibt. Das, was dabei dauerhaft trainiert wird, heißt „Meta-Aufmerksamkeit“: Je ausgeprägter sie ist, desto mehr ermöglicht sie uns, jedes mentale „Abschweifen“ (etwa in Richtung negativer Gedanken) frühzeitig zu erkennen und rasch zu korrigieren. Davon profitieren wir – täglich. So können wir das eigene Glück steuern.

Die perfekte Antwort auf das schnelle Leben

Über Meditation ist schon viel Kluges gesagt und geschrieben worden, mittlerweile existieren mehr als 6000 wissenschaftliche Publikationen zum Thema. Es ist bekannt, dass Menschen, die regelmäßig meditieren, stressresistenter sind, besser schlafen und widerstandsfähiger gegen Krankheiten werden, weil ihr Immunsystem optimaler funktioniert. Je nach Meditationsweise können durch Stress hervorgerufene Entzündungsreaktionen im Körper gebremst werden, und es wird angenommen, dass regelmäßiges Achtsamkeitstraining die Zellalterung verlangsamt. Meditation gilt als Verjüngungskur.

Man spricht von „heilsamer Versenkung“, die uns nicht nur gesünder macht, sondern mit der Zeit dazu führt, dass wir uns besser konzentrieren können. Das wiederum wirkt leistungssteigernd – weit über die Meditationspraxis hinaus. Die neu gewonnene Ruhe befähigt den meditierenden Menschen, seine Aufmerksamkeit auch im Alltag halten zu können. Die Gedanken wandern weniger, es fällt leichter, bei der Sache zu bleiben. Meditation ist die passende Antwort auf das schnelle Leben.

Für mich kommen aber noch weitere, wichtige Aspekte dazu – allem voran das Gefühl, mit sich selbst verbunden zu sein. Es bedeutet, in jeder Hinsicht echter und authentischer zu bleiben – gelassen, „bei sich“. Das Lächeln verändert sich, es ist ehrlich und speist sich aus inneren Energien, zu denen wir auf einmal Zugang haben. Dabei öffnet sich auch das Tor zur Intuition: Wer meditiert, entwickelt mehr Gespür und erkennt präzise, was ist. Das ermöglicht, andere Menschen besser zu „lesen“ und auf sie einzugehen. So betrachtet verändert Meditation die Persönlichkeit und die Haltung gegenüber dem Leben an sich. Meditieren macht empathisch – für andere, aber auch für sich selbst. Wir mögen uns mehr.

 

  1. Wie steige ich ein?

Am einfachsten ist es, mit einer geführten Atemtechnik zu beginnen. Hier leitet Sie jemand an, und Sie folgen diesen Anleitungen. Sie können auch mit einfachen Konzentrationsübungen beginnen, um zu lernen, wie man den Geist zur Ruhe bringt.

 

  1. Wann meditiere ich?

Anfänger üben idealerweise morgens, weil da im Gehirn noch nicht so viele Eindrücke zu verarbeiten sind wie abends. Wer mag, kann vorher spazieren gehen oder Yoga praktizieren – dann fällt das Meditieren etwas leichter.

 

  1. Wo meditiere ich?

An einem Ort (es kann auch im Freien sein), wo Sie möglichst wenig abgelenkt sind und an dem Sie sich wohl fühlen.

 

  1. Welche Meditation ist gut für mich?

Das sollte jeder Mensch mit der Zeit für sich selbst herausfinden. Bei den passiven Meditationsarten finden sich etwa Achtsamkeits-/Einsichts-Meditation, Stille-/Ruhe-Meditation oder Transzendentale Meditation. Zu den aktiven Meditationsarten gehören zum Beispiel Schüttelmeditationen, Gehmeditationen, Qi Gong oder spezielle Kampfsportarten.

 

  1. Gibt es eine Mini-Meditation, die rasch entspannt?

Ja, die kürzeste Meditation der Welt: sich in die Sonne stellen und tief seufzen.

 

Zur Autorin: Nicole Hobiger-Klimes ist Impulsgeberin, systemischer Coach und leitet seit mehr als zehn Jahren ein Ausbildungsinstitut für Meditation und Achtsamkeit. Dabei unterstützt sie Menschen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und ihr Leben in Balance zu bringen. Soeben ist ihr Dankbarkeitsbuch „Meine Quantensprünge“ (Verlag Berger, € 24,90) erschienen. Es versteht sich – im Sinne eines Journals zum Selbstgestalten – als Wegweiser zu den schönsten Momenten des Lebens und will vor allem Mut machen. Für Interessierte bietet die Expertin ein günstiges Einsteigerpaket mit acht geführten Meditationen an – zum direkten Download für Zuhause (21 €).