WOMAN Kolumne: Die Kunst, seinen Erfolg zu genießen
Die Kunst, seinen Erfolg zu genießen / WOMAN Magazin Ausgabe 18. November 2021
Immer wieder begegnen mir im Rahmen meiner Arbeit als Beraterin Menschen, die das, was sie erreicht haben, nicht feiern können. Ihre Erfolge nicht „annehmen“, sondern sogar am Wert ihrer Leistung zweifeln. Da saß mir zum Beispiel diese wunderbare junge Frau gegenüber, die beruflich unglaublich viel gemeistert hat, allerdings immer noch rätselt, ob sie das genießen darf. Verbunden mit der Frage, ob es womöglich okay wäre, für ihr Tun mehr Geld zu verlangen. Oder eine Pause zu machen. Sich etwas zu gönnen. Ich frage Sie, liebe LeserInnen, heute ganz bewusst, ob es in Ordnung ist, wenn jemand so erfolgreich ist, dass er sehr gut verdient? Wäre es auch okay, wenn so ein Mensch drei Tage in der Woche nichts tun muss, weil er es sich leisten kann, die Arbeit an jemanden anderen zu delegieren? Genau betrachtet, ein Glücksfall – und dennoch fällt es vielen unglaublich schwer, dieses Glück wahrzunehmen, anzunehmen. Sich darin dankbar und bewusst fallen zu lassen. So als hätte man den Erfolg gar nicht verdient.
IMMER BESCHÄFTIGT
Die meisten sind darauf konditioniert, sechs Tage die Woche zu arbeiten, zu leisten und immer neuen Zielen nachzujagen. Plötzlich nur mehr drei Tage im Einsatz zu sein, kann ziemlich unruhig machen. Weil wir es gewöhnt sind, ununterbrochen beschäftigt zu sein und uns darüber definieren. Der zugehörige Glaubenssatz: Nur wer dauernd „im Einsatz“ ist, hat die Lizenz zur Daseinsberechtigung. Ein Phänomen, das oft auch in der Kindheit wurzelt. Kennen Sie die Situation, in der eine Mutter freundlich sagt: „Ihr Kind ist aber sportlich!“ und die betroffene andere Mutter dann so antwortet: „Wir wissen auch nicht von wem es das hat, ich war ja immer ungeschickt“. Das erzeugt in uns den Eindruck, dass das eigene Gelingen nur mit äußerlichen Bedingungen zu tun hat und nicht mit uns selbst. Jahre später geht das dann so: Jemand sagt zu uns, dass wir gut ausschauen und wir antworten darauf mit einem „Das muss wohl am Licht liegen!“. Dass ich es womöglich selbst sein könnte, die – ganz von allein und einfach so – großartig, schön, wunderbar, fantastisch und einmalig ist, käme uns kaum in den Sinn.
Sehr viele Ratgeber verraten uns, was wir tun können damit wir uns besser fühlen, unendlich viele Angebote kursieren im Netz wie wir erfolgreicher, fitter, jugendlicher, schöner und leistungsfähiger werden…. Aber wer zeigt uns, wie wir mit positiven Ereignissen oder mit den Momenten des eigenen Erfolgs umgehen können? Dafür gibt es keinen Leitfaden, sondern – im Gegenteil – vor allem Tipps, wie wir noch „besser“ werden können, im Sinne steter Selbst-Optimierung. Aber was, wenn endlich etwas gelingt und dafür die Lorbeeren zu ernten wären? Dürfen wir das genießen, weitererzählen und lautstark stolz darauf sein? Die meisten Menschen erzählen lieber davon, dass etwas nicht klappt. Ich finde, es ist an der Zeit, hier endlich etwas ganz anders zu machen. Hinspüren, atmen, eintauchen – ins Gefühl, angekommen zu sein, auf einem der vielen Gipfel des Lebens. Etwas geschafft zu haben – und das auch richtig, richtig feiern zu dürfen. Auf einmal dürfen wir uns drei Tage unter der Woche frei nehmen. Gegönnt! Etwas Gutes für uns selbst tun. Gegönnt! Zeit für ein Hobby, die Familie oder Freunde haben. Gegönnt! Oder für eine Reise, vielleicht ein soziales Engagement. Alles kein Luxus – sondern richtig, richtig verdient. Wenn sich eine Verschnaufpause ergibt, sollten wir also zugreifen, uns das Gefühl von Freiraum gönnen. Um uns zu freuen und wertzuschätzen, was passiert ist. Klopfen wir uns also auf die Schultern – und all jenen, die an diesem Erfolg beteiligt waren. Kosten wir es aus, uns zurücklehnen zu können, sich im Moment fallen zu lassen, um in das Gefühl einzutauchen, dass etwas gelungen ist. Pause machen, Luftholen, das Schöne zulassen. Weil wir nie wissen, wann die Verschnaufpause zu Ende ist und wie es weiter geht. Erfolg ist eine Reise, kein Ziel. Sich dessen bewusst zu sein, ist ebenfalls Teil eines achtsamen Umgangs mit dem Leben und sich, als Mensch. Ich nenne das „Freundschaft mit mir selbst“: Wohlwollen für das eigene Tun und Sein. Also keine falsche Bescheidenheit! Stehen wir dazu, wenn etwas gelungen ist, genießen wir diese Glücksmomente. Aus dieser Fülle heraus kann wieder etwas Gutes entstehen. Wenn ich etwas gelernt habe, dann das: Macht mir jemand ein Kompliment, sage ich einfach nur Danke. Mit erhobenem Haupt, im Bewusstsein, dass ich sicher zum Gelingen meinen Teil beigetragen habe. Das gilt auch für Sie.