Bittere Pillen helfen mehr – über die Wirkung von Placebo und Nocebo
Die Vorgänge in unserem Körper sind wahrlich faszinierend – nicht nur für mich als Ärztin. Der Erhalt von Gesundheit und das Entstehen von Krankheiten sind hochkomplexe Vorgänge, die untrennbar mit der Außenwelt und unserer Psyche verbunden sind. Um diese Komplexität zu reduzieren, gibt es oft Erklärungsmodelle und Vorstellungen von sehr einfachen, direkten Einflussfaktoren.
Leiden Menschen beispielsweise unter einem Infekt, erhalten sie von der Hausärztin bzw. dem Hausarzt ihres Vertrauens ein Medikament und fühlen sich nach 3 Tagen wieder gesund. So gehen viele Personen davon aus, dass sie „wegen der Arznei“ wieder fit sind. Außer Acht gelassen wird dabei unter anderem der natürliche Verlauf der Erkrankung oder der Placeboeffekt. Dieser beschreibt die Verbesserung von Beschwerden durch eine Scheinintervention, sein „böser Gegenpart“, der Noceboeffekt, die schädlichen Effekte. Und genau darum soll es in diesem Text gehen.
Das erwartet Dich in diesem Artikel:
Der Placeboeffekt ist alles andere als vernachlässigbar
Medikamente werden üblicherweise, bevor sie zugelassen werden, in sogenannten „placebokontrollierten Studien“ getestet. Dabei werden die TeilnehmerInnen zufällig entweder Gruppe A zugeteilt, die den zu testenden Wirkstoff erhält, oder Gruppe B, die ein Placebo bekommt. Das neue Medikament muss nun zeigen, dass es effektiver ist als „das Placebo“.
Man weiß, dass die Größe des Placeboeffekts sehr relevant und nicht vernachlässigbar ist. Je nach Wirkstoff werden 20-85% der Wirkung auch durch Placebo erreicht! Doch den Effekt gibt es nicht nur bei Medikamenten – so fanden sich auch in Untersuchungen mit Scheinoperationen sehr beeindruckende Ergebnisse in der Placebogruppe. Eine Studie beschrieb gar, dass fast 90% des Effekts von Operationen bei chronischen Schmerzen auch in der Placebogruppe zu finden war!
Gerade durch eine vertrauensvolle Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen mit ausreichend Zeit, um auf Fragen und Bedenken eingehen zu können, kann es gelingen, den Placeboeffekt (zusätzlich zu den Wirkungen durch die Intervention wie eine Medikamentengabe) bestmöglich zum Wohl der Kranken zu nutzen. So ist es sehr sinnvoll, wenn der erwünschte Effekt eines verschriebenen Medikamentes genau erklärt wird. Wird eine Infusion mit einem Schmerzmittel verabreicht, so bewirkt die Information, dass es sich um ein schmerzlinderndes Medikament handelt, eine stärkere Wirkung, als wenn das Mittel ohne Kommentar angehängt wird.
Es ist weiters bekannt, dass gelassene PatientInnen besser auf Placebos ansprechen. Daher wäre es sehr sinnvoll, in Gesundheitseinrichtungen auf eine möglichst angst- und stressfreie Atmosphäre zu achten.
Doping mit Placebo?
Der Placeboeffekt ist (auch aus ethischen Gründen) wesentlich besser erforscht als der Noceboeffekt. Von psychologischer Seite spielen neben einer guten Interaktion zwischen ÄrztInnen und PatientInnen auch die Erwartungshaltung und die Konditionierung (im Sinne des Lernens) eine große Rolle. Letzteres führt dazu, dass es den Placeboeffekt sogar gibt, wenn der oder die Betroffene weiß, dass er/sie ein Placebo erhält. So gibt es starke Vermutungen, dass im Spitzensport mittels Placebos gedopt wird, weil man einen guten Teil der Wirkung einer Substanz ohne Nachweis in Blut- oder Harnproben erzielen kann.
Und auch durch äußere Faktoren kann der Placeboeffekt beeinflusst werden: So ist der Placeboeffekt bei einer Behandlung im Krankenhaus oder einer Ordination höher als zu Hause. Ein Wirkstoff, der über die Vene verabreicht wird, wirkt stärker als beim Schlucken des Wirkstoffs und wenn Pillen eingenommen werden, dann sind teurere effektiver als billige und bittere besser als süße Tabletten.
Doch nicht nur der Placeboeffekt ist von großer klinischer Relevanz. Auch Nocebos haben entscheidenden Einfluss auf unseren Körper.
Wenn Worte schaden können
In Zulassungsstudien kommt es auch bei jenen PatientInnen, die nur das Scheinmedikament erhalten, sehr häufig zu Nebenwirkungen – und zwar immer wieder auch in einem Ausmaß, dass Personen aus der Placebogruppe die Studien abbrechen. Zudem ist bekannt, dass (wie zum Beispiel in Aufklärungsgesprächen) erwähnte Nebenwirkungen oder Komplikationen durch Schüren einer Erwartungshaltung häufiger auftreten. So zeigte sich etwa in einer Untersuchung, dass 47% der PatientInnen nach einer Lumbalpunktion (einem „Kreuzstich“ zu Diagnosezwecken) Kopfschmerzen bekamen, wenn sie vorher über diese Nebenwirkung aufgeklärt worden waren. Wussten die PatientInnen darüber nicht Bescheid, so litten nachher nur 8% an Kopfweh.
Werden Menschen durch entsprechende Worte aufgeklärt, dass ihnen in Kürze eine schmerzhafte Prozedur bevorsteht, so werden (allein durch eine Erwartungsangst) im Gehirn die gleichen Areale aktiviert, wie beim „echten Spüren“ von Schmerz.
Für Ärztinnen und Ärzte gilt also, sich im Gespräch der Macht ihrer Worte bewusst zu sein und die möglichen schädlichen Auswirkungen auf ein Minimum zu reduzieren. Es ist allerdings ein sehr schmaler Grat zwischen einer ausreichend guten Aufklärung und dem Erzeugen von Angst beim Gegenüber. Zunehmende Erfahrung, aber natürlich auch entsprechende Weiterbildungen zum Thema Sprache und Kommunikation, können hier sehr hilfreich sein.
Placebowirkung auf Umwegen
Die bereits weiter oben erwähnten Medikamentenzulassungsstudien sind aber meist nicht nur „placebokontrolliert“, sondern erfolgen auch in einem Design, das „doppelt verblindet“ genannt wird. „Doppelt verblindet“ bedeutet, dass weder die PatientInnen wissen, ob sie Gruppe A oder B zugeordnet wurden, noch die betreuenden ÄrztInnen Informationen zu den Gruppenzuordnungen erhalten.
Warum das wichtig ist, wird durch ein weiteres, sehr spannendes Phänomen erklärbar: den „Placeboeffekt by proxy“ – ein Placeboeffekt, der indirekt (über eine andere Person) wirkt.
Dies ist zum Beispiel aus der Kinderheilkunde oder der Veterinärmedizin bekannt. Die Überzeugung von Eltern oder TierbesitzerInnen, dass ein Präparat wirksam ist, führt meist zu deren Entspannung. Sie beginnen sich anders (vermutlich ruhiger und zuversichtlicher) zu verhalten und sowohl mit Worten als auch nonverbal zu kommunizieren, dass der oder die Erkrankte mehr hilfreiche Unterstützung erfährt und mit höherer Wahrscheinlichkeit gesund wird.
Auch in professionellem Umfeld, wie im Rahmen einer ärztlichen Betreuung, fällt der Placebo-by-proxy-Effekt ins Gewicht. Daher ist es wichtig, dass auch wir ÄrztInnen von dem, was wir tun und empfehlen, überzeugt sind!
Fazit
Es gibt zahlreiche andere Faktoren, die abseits der Verschreibung und Einnahme von Wirkstoffen beachtet werden müssen, damit Erkrankte möglichst gute Unterstützung erfahren. Gerade die Placeboforschung liefert dazu gute Ansätze und zeigt unter anderem auf, wie wichtig es ist, dass sich PatientInnen von Behandelnden ernst genommen fühlen und ausreichend Zeit erhalten, um Fragen anzusprechen und beantwortet zu bekommen.
Über die Autorin
Dr. Elisabeth Schartner
Fachärztin für Innere Medizin mit Spezialisierung in psychosomatischer Medizin

Foto: Dr. Schartner
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